Erfahrungsbericht eines rockbegeisterten Mannes

Eigentlich ist es doch vollkommen unwichtig, ob ein Mensch einen Rock oder eine Hose trägt. Wichtig ist allein die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen.

Die Frauen wissen das schon längst. Frei entscheiden sie darüber, was sie anziehen wollen. Soll es was bequemes sein oder was praktisches oder was chiques? Ist es heute kalt oder warm? Will ich Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen? Je nach dem greift sie nach Rock oder Hose. Das ist den Mädchen heute so selbstverständlich, dass sie keinen Gedanken daran verschwenden, dass es auch anders sein könnte, dass sie zum Beispiel zum Röcketragen gezwungen sein könnten und das Hosentragen ihnen verboten sein könnte. Die älteren Damen dagegen wissen noch wie es war, als genau dieses Verbot Alltag war und von den meisten gar nicht hinterfragt wurde.

Wir Männer aber leben zumeist immer noch in diesen alten Vorstellungen. Wir tragen Hosen, egal ob es kalt ist oder warm, egal ob wir Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen wollen, egal ob uns Hosen angenehm sind oder nicht. Also, ich mache diesen Unsinn nicht mehr mir. Schon als kleiner Junge fand ich Röcke schön und nachdem ich sie anprobiert hatte auch sehr angenehm zu tragen. Trotzdem habe ich erst als Erwachsener so richtig mit dem Röcketragen angefangen, zunächst in Sri Lanka, wo Röcke (Sarongs) auch von Männern ganz selbstverständlich getragen werden, und erst mit nochmaliger langer Verzögerung auch hier in Deutschland. Das tue ich aber nunmehr seit zehn Jahren, anfangs nur in der Freizeit, aber schon seit acht Jahren auch bei der Arbeit.

Wir sind ja dummerweise so erzogen, dass man als Junge keine Röcke trägt, weil Röcke Mädchenkleidung seien. Die Frauen haben sich längst die Scheu vor Männerkleidung abgewöhnt. Ja gut, das hing damit zusammen, dass sie von ihrer benachteiligen gesellschaftlichen Stellung aufsteigen und mit uns Männern gleichberechtigt sein wollten. In vielen Bereichen ist ihnen das gelungen, wenn auch noch nicht in allen. Viele Männer und Frauen denken, das sei ein Aufstieg für die Frauen, wenn sie uns Männern ähnlich werden, und umgekehrt sei es ein Abstieg, wenn wir Männer den Frauen ähnlich würden, zum Beispiel, indem wir Röcke tragen. Also meiner Meinung nach gibt es da weder einen Auf- noch einen Abstieg. Meiner Wertung nach sind weder wir Männer mehr wert, noch die Frauen. Ich bin für eine völlige Gleichberechtigung in allen Bereichen der Gesellschaft. Das bedeutet nicht, dass ich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen sehe, aber die Unterschiede müssen nicht in sozialen Rollen und rigiden Kleidungsvorschriften zementiert werden. Die Unterschiede sind da, selbst wenn beide in Latzhose und mit kurzen Haaren daher kommen oder mit Anzug und Krawatte oder eben mit Jeansrock und langen Haaren oder im Kleid. Nicht jedem steht alles, manches steht mehrheitlich Frauen besser, anderes Männern, aber auf Hosen und Röcke lässt sich das nicht generalisierend anwenden. Das soll jeder und jede für sich entscheiden.

Außerdem sind Röcke gar keine reine Frauenkleidung. Wenn man sich ansieht, was die Männer in den vielen Kulturen der Menschheit schon alles getragen haben und heute noch tragen, trifft man sehr oft auf Röcke und Kleider. Vielleicht haben global und menschheitsgeschichtlich gesehen sogar mehr Männer Röcke getragen als Hosen.

Anfangs war ich ja sehr aufgeregt, mich im Rock in die deutsche Öffentlichkeit zu wagen. Die Aufregung schwand, als ich neben den befürchteten negativen viel mehr positive Rückmeldungen bekam und weiterhin bekomme. Diese kommen sehr viel von Frauen, die im männlichen Röcketragen auch eine Hilfe für ihre Emanzipation sehen, und auch von solchen, die meinen, das sehe sehr männlich aus. Sie kommen auch von Männern, die meinen, Emanzipation sei ja nicht nur für die Frauen da, und das sei doch bestimmt sehr bequem und angenehm. Negative Rückmeldungen kommen zum Teil einfach von konservativen Menschen, die lieber beim Gewohnten bleiben wollen, dann von Machos, die die männliche Ehre in Gefahr sehen und die Hose als Symbol für Männlichkeit sehen, des weiteren von Jugendlichen, die in ihrer geschlechtlichen Identifikation noch unsicher sind und überdies am liebsten tragen, was „alle“ tragen. Von den allermeisten Menschen aber kommen gar keine Rückmeldungen. Sie tolerieren es einfach und fertig.

Und ich war ja auch nicht alleine, sondern lernte über das Internet Gesinnungsgenossen kennen, die mir als Vorbilder voraus gingen oder die bald mich und die anderen zu Vorbildern nahmen und Röcke trugen. Wer „Männerrock“ in eine Suchmaschine eingibt, wird schnell fündig. Vor allem möchte ich den im September 2008 leider verstorbenen Ferdi Laroche erwähnen, der von vielen als Galionsfigur der Männerrockbewegung angesehen wurde. Vor allem aber war er ein guter Freund und ein großes Vorbild in Sachen Selbstbestimmung, Selbstsicherheit und Freiheit.

Die Bewegung oder Szene wächst langsam, aber stetig. Es könnte allerdings ein wenig schneller gehen mit der Ausbreitung der Idee, aber die Denkblockade in vielen Männerhirnen ist noch zu groß. Sie ist so groß, dass die meisten nicht selbständig auf die Idee kommen und selbst wenn sie mich sehen, mich entweder für einen Transvestiten oder für einen Schotten halten, oder für einen Geistlichen, wenn ich meinen langen schwarzen Rock trage. Und wer weiß, worum es geht, findet den Mut nicht. Selbst von den Männern, die mein Röcketragen loben, trauen sich die wenigsten, es mir nachzumachen. Das ist sowieso noch eine oben nicht erwähnte Quelle negativer Rückmeldungen: Schiere Angst vor den Mitmenschen und ihren Meinungen, seien es die Nachbarn, die Kunden, die Kollegen, die Chefs oder wer auch immer. Aber vergiftet man nicht die eigene Seele und dadurch nach und nach die Gesellschaft, wenn man seinen Mitmenschen mit Angst begegnet? Sicher gibt es Menschen, die gefährlich intolerant sind und deren Meinung über einen irgendwie leider doch wichtig ist. Aber das ist nicht die Allgemeinheit. Und man ist nicht ständig in einem Bewerbungsgespräch und nicht jeder, bei dem man sich bewirbt, ist intolerant. Bei Bewerbungsgesprächen mag konservatives Auftreten oft sinnvoll sein, je nach dem, wo man sich bewirbt. Das ist ein Thema für sich, aber der Alltag sollte der Kleidung gehören, die man aus eigenen Stücken wählt, in der man sich wohl fühlt. Das ist gut für die Gesundheit, die eigene wie die der Gesellschaft.

So genieße ich das Röcketragen in der warmen Jahreshälfte, lasse mir den Wind um und zwischen die Beine streichen, fühle den Stoff, wie er sich bewegt, schimpfe auch mal, wenn der lange Rock nicht die bei Eile günstige Schrittlänge zulässt, um ihn dann bei weniger Eile um so mehr wieder zu genießen. Und es gibt ja so viele Arten und Formen von Röcken, von kurz und weit bis lang und eng und natürliche auch kurz und eng und lang und weit. Ich liebe Jeans-, Cord- und Twillröcke mit Taschen, da sie zugleich die praktischsten Röcke sind. Es ist einfach schön die eigene Kleidungsauswahl vergrößert zu haben und sich so viel besser als vorher den unterschiedlichen Witterungsverhältnissen und Bewegungsvorhaben anpassen zu können. Und es ist ein wunderbares Gefühl, sich emanzipiert zu haben, also befreit von verkrusteten Vorstellungen, was ein Mann tragen darf und was nicht. Das Leben ist zu wertvoll, um es mit so einem Unsinn zu belasten. Meinen Sie nicht?

Michael A. Schmiedel am 18. Mai 2009